Samstag, 10. Juni 2017

Ein bisschen Ällgäu in Ostanatolien

Inzwischen bin ich am Schwarzen Meer. Es regnet und man kann das Meer nicht vom Himmel unterscheiden. Grau ist die  bestimmende Farbe. Hatte ich schon lange nicht mehr.

Meien Augen spazieren über die fruchtbare Steppe. Sie stolpern über Steinhaufen, bleiben an kurzen Büscheln hängen. Ehe sie die Berge im diesigen Licht erreichen, haben sie die Entfernung noch nicht erfasst. Es ist die Länge der Augenwanderung, die sich von bisher betrachteten Landschaften und unterscheidet. Unterhalb des westlichen Ararat im ostanatolischen Hochland ändert sich die Landschaft. Sie erinnert ein wenig an das Allgäu. Grüne Almflächen wachsen die Hügel empor. Jetzt, wo das frühe Jahr aus vollen Zügen lebt, ziehen Matten gelber Blumen die Hänge empor. Blüten in zartem Lila wiegen sich dazwischen im Wind wie ein Tüllschleier. Fällt das Licht der Sonne günstig zeigen sich weiße kleine Blüher an ihren Rispen wie zarte Wellen am Meer. Zwei große Greifvögel mit ausladenden Schwingen lassen sich von der mageren Thermik  tragen. Immer wieder helfen ihre Flügelschläge, die Höhe zu halten. Prachtvoll. Vom Pflug gebrochene Erde treib ihren feuchten Atem über die Straße. Letzte Schneeresten zeugen vom eisigen Winter. Die Abstände machen den Unterschied zum Allgäu aus. Alles wirkt großzügiger. Nur die Almhütten, die sich am geschütztem Fleck versammelt habe, sind aus grauem Balkenholz. Jede hat eine Veranda, auf der sich der Abend erwarten lässt. Wellblechdächer an Stelle von Schindeln. Menschen hämmern und graben. Für den Almsommer soll alles gerichtet sein. Ein idyllisches Dorf.
Später dann, auf der dem Schwarzen Meer zugewandten Seite wachsen Kiefern und Laubbäume. Sie schenken mir ein wenig Heimat. Eine Wiesenflächen im Hochwald mit kleinen Picknickpavillons lädt zu verweilen ein. Ruhe über Allem. Kühe mapfen Gras und schauen treu. Eine Hündin beäugt mich und sichert ihr Revier. Ein Platz für eine Nacht. Jedoch, das Wetter ist trügerisch. Die Wolken sehen nicht freundlich aus. Gestern, am Abend, gab es ein heftiges Gewitter mit haselnussgroßen Hagelkörnern. Das möchte ich nicht hier oben erleben. Eine wunderbare "Alpenstraße" erwartet den Motorradfahrer. Im oberen Teil durch die engen Serpentinen anspruchsvoll. Weiter unter sind die Kurven weicher. Es lässt sich wunderbar "cruisen." Die Laster, die schnell nach Hause wollen lasse ich gerne vorbei. Eine zeitlang sprang ein Bach, später ein Fluss neben dem Fahrweg. Er wird in einem riesigen See gestaut. Der Fluß Coruh speist mit seine Nebenquellen dieses gigantische Gewässer. Jetzt, wo die Straße weit oberhalb verläuft, sieht man welche Täler überflutet sind.
Ein kleines Hotel in Arhavi bietet Bett, Dusche und WiFi. Es ist höchste Zeit, denn bald verschwimmt der Horizont des Meeres im Grau des Himmels. Wenig später fallen die Tropfen aus den Wolken und hören den ganzen Abend nicht mehr auf.

Letzte Schneeresten auf den Gipfeln zeugen von kalten Wintern. Der Unterschied zu den bayerischen Bergen liegt in den Abständen. Alles ist größzügiger.

2 Kommentare:

  1. Lieber Rüdi.
    Wieder mal alles sehr poetisch geschrieben. Aber sehr schön und eindrucksvoll. Leider keine Bilder. Also scheint das Problem noch nicht gelöst zu sein. Müssen wir dann in Berlin lösen.
    Hier in der Hauptstadt ist Hochsommer.
    Dir weiter eine gute Weiter/Heim Fahrt.
    Liebe Grüße,
    Jochen

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  2. Ja, das hast du so schön beschrieben, Rüdiger.

    Und nun hast du dir deinen persischen Kindertraum erfüllen können - großartig. Ich konnte zwar leider nicht oft kommentieren, aber ich habe jeden deiner Beiträge mit Genuss gelesen.
    Und wir sehen uns in Berlin alle wieder.

    Pass weiter gut auf dich auf und gute Heimreise ...

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