Dienstag, 20. Juni 2017

Durch die Weiten der Haselnußhügel und schwupp in Europa

Heutzutage sind die Regenkleider gut zu tragen. Sie halten über weite Strecken dicht und die innere Wärme wird ordentlich abgeführt. Irgendwann ist man die Beregnung dann doch leid. Wolken aus denen unaufhörlich dicke Tropfen schwappen behindern die Sicht, die Straßenbegrenzung lädt sich nur erahnen. So geht's strecknweise dahin. Die Pfützen werden tiefer, kleine Bäche rinnen über den Belag. Holzauge sei wachsam. Am Eingang einer Stadt winkt ein Hotel. Ich bin abgelenkt und fahre vorbei. Das nächste wird genommen. Es hat sich etwas zurückgenommen, steckt hinter Bäumen. Ganz neu ist es nicht mehr. Auch Innen hat es seine Zeit gehabt. Die Betten sind frisch bezogen. Die Dusche spendet heißes Wasser. 12  € und der Wirt kocht Tee. Wir sitzen in seinem "Wartereich." Er sitzt den ganzen Tag dort, der Fernseher läuft, zwischendurch klingelt das Handy. Mekan ist Rentner, 1400 TL (geteilt durch vier). Oben fehlen ihm alle Zähne. Er lebt ohne Frau, kennt aber zwei hübsche Russinnen. Die arbeiten auf der südlichen Seite am Meer. Ein Gebiss möchte er nicht, schließlich fährt er einen alten Mercedes (1994). Implantate sollen es sein. Na ja, bei der Rente. Deutschland findet er gut, die PKK nicht. Das ich in Kurdistan war findet er beachtlich, wo sie im TV gerade berichten, dass man Widerstandskämpfer gefangen nahm. Bei seinem Kumpel bestellt er mir "türkische Pizza," mit grobem Hackfleisch belegt und Ayran (inzwischen mein Bierersatz).
Im Bett denke ich darüber nach, Hotels mit einer Anzahl flügelloser Insekten zu kategorisieren. Von einem bis zu fünf Insekten. ZB. ein Insekt: deutlich abgewohnt, Teppich stellenweise bis auf das Gewebe durchgegeben, Türen schließen schlecht, Klo und Dusche mit grauen Spuren in Ecken, Bettwäsche frisch, bei offenem Fenster kein muffiger Geruch. Oder Kat. drei (3 Insekten): deutlich abgewohnt, schöne Risse verzieren Treppenhaus und Zimmer, Stolperstellen im abgelatschten Teppich, Tür lässt sich nur mit Trick verschließen, die Bettwäsche könnte schon mind. einen Bewohner vorher gehabt haben, Dusche tropft, heißes Wasser kommt erst nach langer Zeit, die Klobrille hängt auf halb Sieben, Fugen der Fliesen ausgebrochen und schön grau, es duftet nach Abfluss, der Seifenhalter ist gebrochen, die Handtücher sind frisch, die Anzahl der flügellosen Insekten im Bett beschränkt sich auf drei pro Meter hoch zwei, der Wirt ist freundlich und kocht Tee.
Es regnete die ganze Nacht, mein nächtliches Nachschauen half nichts, es goss weiter. Jedoch, der Morgen brachte die Änderung vom Dunkelgrau zu Hellgrau mit lichten Flecken. Da kommt Freude auf. Es kann nur besser werden. In Ruhe einpacken, duschen, rasieren, abhusten. Alles will getan sein. Die Handschuhe hatte ich mittels Klopapier und Föhn fast trocken bekommen. Die Heizgriffe mache den Rest. Es ist wunderbar dem anspringen den Motor zuzuhören. Gleich schiebt er mich auf die Straße und die ist vielversprechend.
Sie Küste arbeitet sich steil ins Mittelgebirge empor. Dort oben sieht es aus, als wäre ein friedlich wogendes Meer erstarrt. Man hat es mit Haselnußbüschen bepflanzt. Das kräftige Grün gibt der Landschaft die prägende Farbe. Kleine Dörfer unterbrechen den Fluß der Straße. Selten noch, grüßen graue Holzhäuser aus vergangener Zeit. Es riecht nach Stall. Alte Mütterchen hüten auf einen Stock gestützt ein oder zwei Kühe. Eine Ziegenherde bestimmt den Verkehr.
Mit dem Aufkommen der Autos, so hatte ich den Eindruck, nutzten viele Männer das Turbohochleistungsöl für ihr Auto auch als Gleitmittel beim Sex. Die darin enthaltenen Gene haben sich besonders auf ihre Sprösslinge übertragen. Sie holen aus ihren Autos raus, was das Öl hergibt. Es spielt keine Rolle, wenn dabei ein alter Motorradfahrer in den Graben geschoben wird, nur weil man in der Kurve den Gegenverkehr nicht rechtzeitig sehen konnte. Ich fahre gelassen und defensiv. Damit bin ich nicht schnell aber sicher unterwegs auf der Strecke, die sich wie eine Achterbahn durch das stille Meer der Hügel zieht. Es macht Freude, hier unterwegs zu sein.
Die neuen Brücke über den Bosporus sollte meine Biene und mich tragen. Eine gigantische Brücke. 1408 Meter spannt sie über die Enge, hängend an dicken Seilen. Die Ideen eines Thüringer, eine Mischung aus Hänge-und Schrägseilbrücke, ist von einer Schweizer Firma umgesetzt worden. Die beiden Pylone messen in der Höhe 322 Meter. Sie sind unbedeutend kürzer als der Eiffelturm. Die Seile wirken wie Saiten einer Harfe. Sie halten die Fahrbahn in der Schwebe. In der Mitte rasen Hochgeschwindigkeitszüge hin und her. Autos und Lkw's teilen sich je vier Fahrbahnen an den äußeren Rändern. Es ist gelungen, dem Beton eine ungewöhnliche Leichtigkeit zu geben.
Mit dem Finden der Zufahrt war es nicht ganz so leicht. Meine antiquarische Türkeikarte verzeichnete die Brücke noch nicht. Auch ein bekannter Internetanbieter von Routen, kannte die Verbindung noch nicht obwohl sie auf seiner Karte angezeigt wurde. Instinkt, wo es langgezogene könnte, habe ich inzwischen entwickelt. Und tatsächlich, dort wo ich dachte, gab es ein Hinweisschild "Yaviz-Sultan-Selim..." (es soll sich um einen Herrscher handeln, der so manchen dahin scheiden ließ.) Die alte Straße zur Brückenautobahn hatte unter den vielen Lastern, die immer noch dicht an dicht Baumaterial transportieren, stark gelitten. Ein Überholen war kaum möglich, weil immer welche entgegen kamen. Und trotzdem, die mit dem Ölgen konnten es nicht lassen. Dann kam die Auffahrt auf die Autobahn (sie soll einmal Edirne mit Ankara verbinden), die ich nicht für voll nahm. Eine Schotterpiste mit pfützigen Schlaglöchern. Nach vier Kilometern fragte ich nach. Man wies mir die Richtung zurück. Beeindruckend war die Querung auf der modernen Brücke. So ein Gewicht zu kontrollieren und zu halten und das in der Höhe zu bauen ( es gab einen schweren Unfall, der den Bau verzögerte), alle Achtung.
Jetzt bin ich wieder in Europa. Habe drei Sterne im Hotelnamen, gut gegessen, mein letztes Waschmittel verwachsen und werde morgen in Ruhe nach Edirne reisen.

3 Kommentare:

  1. Hallo Rüdiger! Ich habe mich köstlich amüsiert über den Text deiner letzten km auf außereuropäischem Gebiet. Habe aber wohl erkannt, dass manchmal Galgenhumor nötig ist.
    Schön, dass du bald in Edirne bist und entspannt deinen Weg fortsetzen kannst, bis du wieder mit deiner Biene in die Kurven gehst. Mach's weiterhin gut und fahre der Sonne entgegen. Wir hatten heute 32 Grad.Morgen gibt es noch eine Steigerung auf 34 °.
    Komme gut an!

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  2. Lieber Rüdiger,

    mit Freude lese ich immer wieder deine Reiseberichte- ich habe stets das Gefühl ein gutes Buch über einen Mann zu lesen, der auszog die Welt zu sehen und die Menschen zu begreifen.
    Ich bekomme direkt Lust aus "diesem Leben auszusteigen" und es dir gleich zu tun…wenn da nicht meine Vernunft wäre.
    Ich wünsche dir eine gute Weiterfahrt und viele gute Momente mit Biene, Ali und all den anderen Handlungsreisenden.

    Liebe Grüße aus dem tropischen Ludwigsburg

    Michaela

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  3. Silvia : wir freuen uns, wenn du wieder da bist. obwohl es dann keinen täglichen Blick mehr in den Blog gibt, was sehr schade ist!!!

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