Mittwoch, 14. Juni 2017

Ali und die 40 Döner

In Sinop hatte ich gerade meinen Rundgang beendet und mich für drei Tage vor Ort entschieden, da werde ich schon angesprochen.  "Dein Motorrad, du kommst aus Berlin?" "Ja, stimmt und Sie? Wo haben sie Deutsch gelernt?" Der Mann mit dem kräftigen Schnauzer:" Komm, Tee trinken, ach, Ramadan hier nicht so streng."
Wir gehen ums nächste Haus, sind an der Hafenkante. Typisches Teehaus, nur Männer. Einige spielen Karten oder Backgammon.
"Was machst du?" Ich erzähle von meiner Reise. Er ist sichtlich beeindruckt. "Und du," frage ich. Er teilt das Schicksal vieler Türken, sein Name ist Ali. Einfach zu merken. Ali macht Urlaub. Wir kommen ins Gespräch, das eine erstaunliche Entwicklung nimmt.
Sein Vater lebte auf der Halbinsel in Sinop, wo er kaum etwas zu tun hatte. Als er 18 wurde brach er mit anderen 1961 nach Deutschland auf. Düsseldorf! Muss furchtbar gewesen sei. Schwere Arbeit, schlafen in Baracke. Mein Vater ist clever, nahm sich mit Freunden eine Wohnung, heiratete, hatte schickes Auto. Der Vater hatte 1970 eine eigene Wohnung. Ali und Mutter wurden mit dem Opel  nach dem Sommer mit nach Düsseldorf genommen. Kleine Schwester musste bei Oma bleiben. Sein Vater war modern, schickte die Mutter zum Putzen ins Krankenhaus, ihn in den Kindergarten. War dort das erste Türkenkind. Schule war gut, Mathe und so prima. Ali auf's Gymnasium. Kommt doch 1983 der Onkel nach Düsseldorf und macht Dönerrestaurant auf. "Am Nachmittag helfe ich immer. Bald kommt ganze Klasse zum Mittagessen. Restaurant läuft gut." "Und wie hast du das mit der Schule gemacht?" "Na ja, ich war gut. Besonders Physik. Ich konnte am spezifischen Gewicht feststellen, ob der Döner mit gutem Fleisch war." Der Onkel fragt, ob er eigenes Restaurant haben möchte. Hat er nicht nein gesagt, Führerschein gemacht Auto gekauft und so. Auch Ali ist clever. Bald hat er vier Dönerbuden und lässt andere "mitarbeiten." Schule adieu. Bald macht er nur noch in Dönerherstellung. "Kleine Fabrik, weißt du. War nicht einfach." Etwas gedankenversunken streicht er sich über eine dicke Narbe am rechten Unterarm. "In die Maschine gekommen," frage ich. "Ne, ne, ist eine andere Geschichte." Ich sage: "Du bist also Dönerkönig von Düsseldorf?" Er wehrt mit leichter Geste und einem Lächeln ab, "nein, nicht König, aber gutes Geschäft."
Und jetzt kommt es erst richtig. "Ist doch schade mit der Schule. Du hättest Physik studieren können,"  hake ich nach. Ja, sagt er, hätte ich. Habe auch was über Einstein geschrieben, toller Typ. Das mit der Zeitkrümmung und das sich das Universum ausdehnt findet er stark. Er sei das Beste Beispiel dafür. "Ali, du dehnst dich doch nicht aus!" "Doch," sagt er, "ganz einfach. Du kennst doch die Geschichte mit dem Reiskorn und dem Schachbrett, 1,2,4 und so. Am Ende kannst du die ganze Verwandtschaft satt machen." Steckst du ein Korn in die Erde, bekommst du mehr zurück. Wo soll denn das ganze Korn hin, wen sich die Erde nicht ausdehnen würde. "Einen Döner angefangen, jetzt ganz viele. Stell dir vor, alle Soldaten von deutscher Wehrmacht wären nicht im Krieg erschossen, sondern hätten alle Kinder. Deutschland total voll. Keine Türken, keine Döner und ich armer Mann, legt er lachend nach. "Ali, ich bin beeindruckt und wie geht das mit der Zeitkrümmung?" "Na, ganz einfach," er legt den Kopf zur Seite, "musst du dir wie Hängematte vorstellen. Netz von Hängematte." Er malt mit seinen Händen ein Netz in die Luft. Dort wo die Matte am Baum hängt, ist die Zeit kurz. Kind bist du nicht lange, Schule, Arbeit. Dann kommt  Geld verdienen. Hast du den Hintern in der Matte, ist das Netz weit. Du hast mehr Zeit. Jetzt, wo ich alt werde, hängt die Liege wieder dichter am Baum. Die Maschen werden kurz, die Zeit geht schnell. "Merkst du das nicht?" Er sieht mich forschend an. Ganz abstreiten kann ich nicht, dass die Zeit schneller vergeht als früher. Ob das an der Hängematte liegt?
Meine Frage nach einem Hotel beantwortet er mit "komm!" Er telefoniert kurz und wir gehen wieder ums Eck über die Straße. "Hotel 57, " der Besitzer arbeitete auch in Deutschland. In der Nähe vom Tegernsee. Seine Tochter spricht perfekt deutsch. Da kann nichts schief gehen. Zimmer und Preis sind gut. Ich kann aufs Meer schauen und die Katzen auf den Dächern beobachten.
Wieder gut getroffen!

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